Inkubator für Handwerk, Reparatur, berufliche Orientierung und nachhaltige Versorgung[1]
Ein wesentlicher Aspekt nachhaltiger Entwicklung besteht in der Vermeidung übermäßiger Ressourcenverbräuche und Abfälle. Dazu trägt die Nutzungsdauerverlängerung von Produkten durch Instandhaltung und Reparatur bei. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks fordert daher die Umsetzung zukunftsfähiger Nachhaltigkeitsstrategien, insbesondere die Strategie einer nachhaltigen Ressourcennutzung durch Reparatur (vgl. ZDH 2021). Das in Gründung befindliche Ressourcenzentrum Oldenburg widmet sich dieser Aufgabe. Hier sollen lokale Wirtschaftsformen unterstützt werden, die auf Reparaturangeboten, Verleihsystemen, Gebrauchtgüterhandel und anderen nachhaltigen Versorgungsformen beruhen, um zur Abfallvermeidung und zum Klimaschutz beizutragen. Eine Besonderheit besteht darin, Einzelhändler als Kooperationspartner einzubinden, damit diese ihren Kunden Beratung und Reparaturleistungen für langlebige Produkte anbieten können, die von lokalen Handwerkern und Reparateuren ausgeführt werden.
Die Aktivitäten des Ressourcenzentrums harmonieren mit der neuen europäischen Öko-Design-Richtlinie, die den Bedarf an Reparaturdienstleistungen steigern wird (vgl. Wachholz 2020). Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert jedoch den deutschlandweiten Fachkräftemangel im Handwerk auf knapp 65.000 Arbeitskräfte. 195 von 1.226 Berufsgattungen wurden 2020 als Engpassberufe identifiziert. Der demografische Wandel wird die Entwicklung weiter verstärken (vgl. IW). Auch in der Metropolregion sind die Auswirkungen des Fachkräftemangels im Handwerk und im Dienstleistungsbereich spürbar und es gibt zudem vielerorts massive Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen. Im August 2020 waren in der Region 5.000 bis 6.000 Ausbildungsplätze unbesetzt und diese Tendenz ist seit Jahren steigend (vgl. Nordwest-Zeitung 29.08.2020). Dies wird durch die zunehmende Zahl von Jugendlichen ohne Schulabschluss durch Corona noch verstärkt.
Vier Entwicklungsschritte eines Netzwerkes innovativer Lernorte für die Metropolregion
Um breite Bevölkerungsschichten in eine krisenrobustere und nachhaltige Gestaltung der kommunalen Versorgung einzubinden und das Interesse an handwerklich-technischen Berufen wiederzubeleben, soll das Ressourcenzentrum nicht nur die regionale Wirtschaft stärken, sondern zu einem innovativen Lernort werden. Vier zentrale Faktoren, die sich gegenseitig verstärken, sollen auf innovative Weise verbunden werden: (1) Durch gezielte Maßnahmen sollen Jugendliche in eine berufliche Zukunft begleitet werden, die mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar ist. (2) Eine intergenerationale Weitergabe von handwerklich-technischen Kompetenzen ermöglicht eine authentische Umsetzung der Begleitung von Jugendlichen durch ehrenamtlich tätige Handwerker. (3) Die Gewinnung von Fachkräften, insbesondere von Reparaturdienstleistern, kann durch diese Angebote positiv beeinflusst werden. (4) Innovative Konzepte der Finanzierung von Reparaturangeboten sowie der Befähigung zu nachhaltigem Konsumverhalten (insb. bezogen auf Nutzungsdauerverlängerung) bilden die Basis für eine innovative, regionale Reparaturökonomie und somit eine weitere Attraktivitätssteigerung handwerklicher Berufe durch zukunftsorientiertes Nachfrageverhalten von Konsumenten.
Dieses Netzwerk regionaler Lernorte könnte mit finanzieller Unterstützung der Metropolregion aufgebaut werden.
- Jugendliche in eine berufliche Zukunft begleiten – Teilhabe und Berufsorientierung durch attraktive Bildungsangebote
Allgemeinbildende und berufliche Schulen sollen darin unterstützt werden, Konzepte gemäß des Niedersächsischen Schulgesetzes (§ 2 NSchG), insb. des aktuellen Erlasses des Kultusministeriums umzusetzen, in dem der Bildung für nachhaltige Entwicklung als Querschnittsaufgabe eine höhere Priorität zugewiesen wird (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2021). Um das Interesse am Handwerk und nachhaltiges Handeln bei Jugendlichen zu fördern, bedarf es folgender Schritte:
Sog. „Catch-Faktoren“ wecken das aktuelle Interesse. Dies kann z.B. über den Besuch eines Workshops zur Reparatur im Ressourcenzentrum bzw. eines Repair Cafés erfolgen, bei dem erste Kontakte zu Handwerkern über konkrete gemeinsame Arbeit aufgebaut werden.
Eine Stabilisierung des anfänglichen Interesses und der Übergang zu einem dispositionalen Interesse kann durch drei „Hold-Faktoren“ unterstützt werden: (1) Die aktive Zusammenarbeit mit Experten des Handwerks führt zu einer sukzessiven Erweiterung der eigenen Kompetenzen. (2) Dies bedingt eine positive Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit sowie ein stärkeres Empfinden von Autonomie. (3) Eine intensive Nutzung von Angeboten, bei denen Experten ihre Erfahrung und ihre Kompetenzen weitergeben, führt zu einem ansteigenden Gefühl sozialer Eingebundenheit, so dass die Prozesse emotional positiv erlebt werden. Neben einer rationalen positiven Bewertung ist dies Bedingung für die Stabilisierung eines langfristigen Interesses (vgl. Stangl 2021).
- Wissen erhalten – Ehrenamt und Engagement bündeln
Während einerseits vielen Jugendlichen derzeit eine stabile Orientierung fehlt, schlummert in der Region andererseits ein ungenutztes Potenzial Ehrenamtlicher, mit dem dieser Missstand abgemildert werden könnte. Das „Matching“ zwischen Kompetenzbedarf und Kompetenzweitergabe ist hierbei ein zentrales Ziel. In den kommenden Jahren erreichen viele handwerklich Berufstätige, die den „geburtenstarken Jahrgängen“ angehören, den Ruhestand. Deren Erfahrungswissen, das an die nächsten Generationen vermittelt und weitergegeben werden könnte, droht verloren zu gehen. Viele Menschen in dieser Übergangsphase bewegt der Wunsch sinnvollen Tätigkeiten.
Im Ressourcenzentrum sowie in Repair Cafés und in Zusammenarbeit mit Partnern der Region soll ein Austausch und kreativer Wissenstransfer zwischen diesen Generationen ermöglicht werden. Ziel ist es, Menschen einzubinden, die im Ruhestand weiterhin tätig sein und ihr Potenzial in soziale Innovationen und neue Projekte einbringen wollen. Die pensionierten Handwerker können zudem als Vermittler an Ausbildungsbetriebe fungieren, denn die intensive Arbeit mit Jugendlichen eröffnet die Chance, deren handlungsrelevante Potenziale gut einschätzen zu können. Ein besonderes Augenmerk soll auf Angebote für Geflüchtete gelegt werden, um sie über weitgehend sprachunabhängige Aktivitäten in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen zugleich die Möglichkeit zu geben, ihre Kompetenzen ebenfalls einzubringen. Um das Matching komfortabel und effizient zu gestalten, bietet sich die Entwicklung einer App an, die von allen Partnern genutzt werden kann (vgl. Social Startup Magazin 2021).
- Fachkräfte fürs Handwerk gewinnen
Eine authentische Weitergabe handwerklicher Kompetenzen kann zudem einen wesentlichen Beitrag für die berufliche Orientierung an Schulen leisten und so dem Fachkräftemangel im Handwerk entgegenwirken, indem Projekte wie nachhaltige Schülerfirmen oder Repair Cafés an Schulen angeboten werden. Mit handlungsorientierten Workshops rund um die Themen Instandsetzung, Reparatur, Wieder- und Weiterverwendung von Artefakten, die intensive Einblicke in handwerklich-technische Berufspraktiken ermöglichen, soll ein innovativer Beitrag zur Steigerung des Interesses an diesen Ausbildungsberufen geweckt und ein differenzierter Blick auf Unterschiede zwischen Industrie- und Handwerkberufen durch Experten ermöglicht werden.
Praktika, die konkrete Einblicke in Berufe ermöglichen, sollen den Ansatz ergänzen. Konkret sollen niedrigschwellige Angebote in dem Netzwerk der Repair Cafés in der Region eingerichtet werden mit dem Ziel, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erhalten und dauerhaft ehrenamtliche Handwerker mit Workshopangeboten in das Angebotsspektrum einzubinden. Das Ressourcenzentrum soll die Vernetzung der vielen unterschiedlicher Akteure vorantreiben und ein Vorbild für die Nutzung der unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsressourcen in der Metropolregion werden. Mit der App soll diese Netzwerkbildung unterstützt und die Angebote der Handwerker der gesamten Region sichtbar gemacht werden. Die Zusammenarbeit mit der Technischen Bildung der Universität Oldenburg und dem Studienseminar Oldenburg BBS unterstützt die Netzwerkbildung durch Fortbildungsangebote und die Einbindung von Studierenden und Lehrkräften.
- Nachhaltiges Konsumverhalten stärken
Um Bürger als Nutzer und Unterstützer der Angebote zu motivieren, können sie gratis einen Ressourcen-Coupon (beispielsweise im Wert von 50 Euro) in Anspruch nehmen, der gegen beliebige Services bei Reparaturdienstleistern des Netzwerks oder die Teilnahme an Reparaturkursen und Workshops eingelöst werden kann. Mit diesem Anreiz wird die Kultur der Reparatur sowohl durch den Erwerb praktischer Kompetenzen für kleine Reparaturen bzw. eines achtsamen Umgangs sowie durch eine Sensibilisierung für Reparabilität und Langlebigkeit bei Kaufentscheidungen unterstützt. Die Coupon-Aktion stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe, sichert Arbeitsplätze und fördert das Bewusstsein für einen ressourcenschonenden Lebensstil. Eine zusätzliche Maßnahme zur Finanzierung des Ressourcenzentrums besteht darin, Bürger analog zum Konzept der Community Supported Agriculture Anteilsscheine anzubieten, die einen Preis von bspw. 50 Euro haben können. Diese können auf dieselbe Weise wie die geförderten Coupons eingelöst werden, unterscheiden sich aber von diesen, weil sie (1) übertragbar auf andere Personen (also auch als Geschenk geeignet) sind, (2) in unbegrenzter Anzahl erworben werden können und (3) als reine Unterstützung, Spende oder Crowdfunding betrachtet werden können, falls es zu keiner Einlösung kommt.
Literatur
Bildung für nachhaltige Entwicklung Niedersachsen. Außerschulische Lernstandorte, pädagogische Angebote und Netzwerke (2019): Hrsg: Niedersächsisches Kultusministerium, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Carsten Wachholz (2020): Wird uns die zirkuläre Wirtschaftspolitik der EU zu einer nachhaltigen Entwicklung führen? In: S. Eisenriegler (Hrsg.): Kreislaufwirtschaft in der EU, Seite 67 – 78.
Institut der deutschen Wirtschaft (2020): KOFA-STUDIE
Fachkräfteengpässe in Unternehmen – Fachkräftemangel und Nachwuchsqualifizierung im Handwerk.
https://www.iwkoeln.de/themen/bildung-und-fachkraefte/fachkraefte.html (2021-04-30).
Niedersächsisches Kultusministerium (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an öffentlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie Schulen in freier Trägerschaft RdErl. d. MK v. 1.3.2021 – Az. 23.5 80009/ 1 – VORIS 22410 –
Social Startup Magazin (2021): Letsact – mit einem Klick zum passenden Ehrenamt https://www.social-startups.de/letsact-mit-einem-klick-zum-passenden-ehrenamt/?ct=t(2021_05_03)&mc_cid=5cf0b5e600&mc_eid=3cd6314550 (2021-05-04)
Stangl, W. (2021). Catch- und Hold-Faktoren im interessefördernden Unterricht – Pädagogik-News. Werner Stangls Pädagogik News.
https://paedagogik-news.stangl.eu/catch-und-hold-faktoren-im-interessefoerdernden-unterricht (2021-04-30).
Zentralverband des Deutschen Handwerks (2021): ZDH Stellungnahme Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2021. https://www.zdh.de/fileadmin/user_upload/Positionspapiere/Wirtschaft_Energie_Umwelt/Stellungnahme_und_Anlage_DNS_2021_ZDH.pdf (2021-04-30).
[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text verallgemeinernd das generische Maskulinum verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen weibliche, männliche und diverse Personen; alle sind damit selbstverständlich gleichberechtigt angesprochen.